Wie wird die Arbeitswelt zu einem Reallabor für eine bessere Zukunft?

Gemäss den Gallup Umfragen leisten 80% bis 90% aller Arbeitnehmenden Dienst nach Vorschrift oder haben innerlich bereits gekündigt. Dabei wäre doch die Arbeit der Ort, wo wir am meisten Einfluss auf unsere Umwelt nehmen können, wo wir am meisten Zeit und Energie aufwenden. Wenn wir uns von der Arbeit abwenden, dann wenden wir uns auch von einem grossen Teil unseres Potentials ab, die Zukunft mitzugestalten.

Was braucht es also, dass die Arbeitswelt zu einem Reallabor für eine bessere Zukunft wird? In den 50er Jahren war sie es vielleicht schon einmal: Wer Arbeitsplätze schaffen konnte, hat zur Verbesserung der sozialen Situation beigetragen und seinen Beitrag geleistet. Wer etwas herstellt und verkauft, erhöht den Umsatz und Gewinn, davon werden Löhne und Steuern bezahlt.

Aber so einfach ist es heute nicht mehr. Unsere Wirtschaft beruht auf Wachstum, das an die Grenzen des Wachstums stösst oder sie bereits überschritten hat. Veränderung steht an. Wir können sie selber gestalten oder von ihr gestaltet werden. Zurück also zur Ausgangsfrage: Wie kann in unserem heutigen Umfeld meine ganz konkrete Arbeitswelt zu einem Labor für bessere Zukunft werden?

Teil haben

Die Menschen in Organisationen sollen wieder spüren, dass ihre Meinung gefragt ist und Einfluss hat. Inklusion und Partizipation gehen unser Meinung nach Hand in Hand. Alle fragen und dann doch einsam entscheiden, ist zu wenig, damit Menschen sich auf ein Experiment einlassen.

Wenn ich schon etwas riskiere, indem ich an Wandel mitmache, dann am liebsten, wenn ich mitentscheiden kann. Z.B. mit «Entscheiden im Konsent». Dabei ist eine Entscheidung getroffen, wenn keine betroffene Person einen Einwand gegen einen konkreten Vorschlag im Hinblick auf das gemeinsame Ziel hat.

Das hat den Vorteil, dass jede Person einen Vorschlag einbringen und diesen auch ausführen kann. Initiative kann überall entstehen. Und alle, inkl. Führungspersonen, haben das Recht einen Einwand zu formulieren. Dieser Einwand ist aber keine persönliche Präferenz, ob grün oder blau spielt keine Rolle – ausser grün oder blau hat einen Einfluss auf die Sicherheit der Organisation.

Somit muss ich nicht voll zustimmen, sondern gebe Konsent auch, wenn mir der Vorschlag persönlich missfällt, ich aber kein Risiko sehe – der Vorschlag liegt also in meiner Toleranzzone. Das schafft Engagement und legt eine gute Basis, kleine, genügend sichere Experimente als Reallabore auszuprobieren.

Mehr zu Konsent: https://www.sociocracyforall.org/consent-decision-making/

Annahmen prüfen

Tief verwurzelte, oft unbewusste individuelle und kollektive Annahmen (über faule und fleissige, eigenverantwortliche oder fremdbestimmte Menschen, ihre Motivationen, ihre Rolle in der Welt und am Arbeitsplatz, den Sinn des Lebens, Marktzwängen, Feindseligkeit oder Gutmütigkeit der Welt, Wettbewerb oder Zusammenarbeit als Erfolgsmodell usw.) liegen oft Organisationsmodellen und -praktiken zugrunde.

Diese Modelle und Praktiken wiederum beeinflussen massiv unser Verhalten. Praktiken zu ändern, ist ein effektiver Ansatz, um ein anderes Verhalten zu erzeugen. Und Praktiken ändern sich, wenn wir unsere Grundannahmen austauschen.

Beispiele solcher grundlegender Annahmen in den aktuellen Organisationsmodellen sind z.B. folgende:

  • Die Welt ist voll von Möglichkeiten und Herausforderungen, die darauf warten, entdeckt und angenommen zu werden. Wenn man klug ist und hart genug arbeitet, kann man alle Vorteile eines hohen Status haben. Wenn man es nicht schafft, ist es die eigene Schuld.
  • Materielle Ergebnisse und Status sind wesentlich. Was zählt, ist das finanzielle Ergebnis: Der (einzige) wirkliche Massstab für Erfolg ist Geld und materieller Wohlstand. Das ist es, was die Menschen letztlich motiviert.
  • Wahrheit ist das, was funktioniert. Pragmatismus ist wertvoller als Autorität. Rationalität wird über alles andere geschätzt. Emotionen, Zweifel, Träume, Fragen nach Sinn und Zweck gehören nicht an den Arbeitsplatz. Sie lenken von der Erreichung unserer Ziele ab. Professionell zu sein bedeutet, das Privatleben privat zu halten.
  • Soziale Akzeptanz ist wichtig, denn man braucht andere, um die eigenen Ziele zu erreichen und den eigenen Erfolg anzuerkennen. Man muss eine professionelle Maske des Erfolgs und der Kontrolle tragen.
  • Nur die Besten auf ihrem Gebiet können und sollten es an die Spitze schaffen. Wettbewerb ist überall und sollte gefördert werden. Um zu überleben und zu gedeihen, muss man andere übertrumpfen und die Konkurrenz schlagen.
  • Innovation ist eine Notwendigkeit für Wachstum. Veränderung ist die einzige Konstante. Es gibt keinen Raum und keine Zeit, um Fehler und Schwächen zu tolerieren.
  • Es ist wichtig, klare Ziele zu haben. Das Erreichen des nächsten Ziels (die nächste Beförderung zu bekommen, eine Lebenspartnerin zu finden, ein neues Auto zu kaufen,…) wird einen glücklich machen.
  • Wenn Menschen ganz mit sich selbst beschäftigt sind, wird nichts Gutes dabei herauskommen. Sie können zwar bis zu einem gewissen Punkt denken und entscheiden, wie sie ihre Arbeit machen, aber sie brauchen eine Richtung. Menschen müssen durch externe Belohnungen und Wettbewerb motiviert werden, um Höchstleistungen zu erbringen. Das Management muss klare Ziele, Anreizsysteme und Kontrolle vorgeben. Das Management muss die Kontrolle haben.
  • (Führungsstil: Experte/Überflieger, «problemlösend, strategisch, ergebnisorientiert». Metapher: Maschine.)
Mehr zu Grundannahmen in unterschiedlichen Organisationsmodellen und -praktiken: https://reinventingorganizationswiki.com/de/theory/fundamental-assumptions/

Wir fragen uns mit den Organisationen, die wir begleiten, wie diese Grundannahmen das Engagement der Mitarbeitenden beeinflussen und ob sie hilfreich für Reallabore für eine bessere Welt sind, z.B. mit dem Framework aus Theorie U. Falls es sich herausstellt, dass sie nicht hilfreich sind, suchen wir nach neuen grundlegenden Annahmen.

Auf dem Wiki für Reinventing Organizations finden sich Grundannahmen, die dem Teal-Paradigma eines Organisationsmodell zugrunde liegen. Die Unterschiede zu den obigen, im Farbcode von Reinventing Organizsations orangen Glaubenssätzen sind frappant – eine Chance für Organisationen, die von den negativen Effekten der obigen Glaubenssätzen besonders stark betroffen sind, und eine Chance für Menschen, die sich nach Veränderung, mehr Sinn und mehr Bezug zur gesamten Welt wünschen:

  • Menschen und Organisationen als lebende Systeme sind voller Potenziale, die darauf warten, sich zu entfalten. Es ist wichtiger, auf Stärken aufzubauen, als sich auf Schwächen zu konzentrieren.
  • Man kann der Fülle des Lebens vertrauen. Menschen und Organisationen, die dieselben dem Leben dienenden Ziele teilen, sind eher Verbündete als Konkurrenten.
  • Alles Leben ist untrennbar miteinander verbunden. Als Menschen und Individuen teilen wir einen Platz im großen Plan des Lebens. Der gleiche menschliche Wert ist selbstverständlich und erfordert keinen Kampf oder Gleichheit in Form oder Ausdruck.
  • Das Ziel des Lebens ist der wahrhaftigste Ausdruck seiner selbst zu werden, sein Geburtsrecht und seine Berufung zu ehren und der Menschheit und der Welt zu dienen. Ihr Beitrag besteht darin, Ihre eigenen einzigartigen Stärken und Ausdrücke zu entwickeln und dann die Freude des Lebens dadurch in diese Welt zu tragen und dadurch Ihre Melodie in der Symphonie des Lebens zu spielen.
  • Man ist nicht das eigene Ego. «Lassen Sie nicht zu, dass das Bedürfnis, gut auszusehen, erfolgreich zu sein, sich anzupassen, … Ihr Leben bestimmt.»
  • Wenn man den Weg offen hält, kann man in das Leben hineinhören, das durch einen selbst gelebt werden will – oder in den Zweck, der durch die Organisation erfüllt werden will. Das Leben muss nicht erzwungen werden. Wir müssen uns nur auf das einstimmen, was das Leben ausdrücken oder erschaffen möchte, und das Leben wird von selbst für das sorgen, was gebraucht wird. Spüren und reagieren, statt planen und kontrollieren.
  • Selbst wenn etwas Unerwartetes oder Fehler passieren, werden sich die Dinge zum Guten wenden. Wenn nicht, bietet das Leben eine Gelegenheit zum Lernen und Wachsen. Lassen Sie die Angst los.
  • Eine gute Entscheidung ist eine Entscheidung, die mit dem eigenen inneren Kompass übereinstimmt – sie basiert nicht nur auf Fakten und Zahlen, sondern schließt Emotionen und Intuition mit ein.
  • (Führungsstil: co-kreativ/synergistisch, «tief empathisch, systemisch, Raum für den Zweck haltend». Metapher: Lebendes System / Lebender Organismus).
Das Framework der Theorie U hilft uns, verborgene Grundannahmen sichtbar zu werden zu lassen. Mehr dazu: https://www.u-school.org/theory-u

Fundamentaler Shift

Die Frage, die sich stellt: Zu welchem Zweck wollen wir unsere Praktiken ändern? Hier einige Annahmen zur Auswahl: Zum Wohl von vielen, zum Wohl der Gesellschaft, zum Wohl der Welt, zum Wohl von wenigen. Je nachdem, wie weit wir unseren Referenz- und Zeitrahmen aufspannen, bilden wir unterschiedliche Annahmen darüber aus, was unsere Organisation zu leisten hat.

Lautet die Antwort zum Wohle vieler, der Gesellschaft und der Welt und die Menschen waren Teil dieser Entscheidung, dann erhöht dies die Chance, dass die Arbeitswelt zum Reallabor wird.

Eine solche Herangehensweise, in der wir gemeinsam und bewusst entscheiden, welche Annahmen und Glaubenssätze uns als Organisation in Zukunft in der Wahl unserer Praktiken beeinflussen sollen, kann zu fundamentalen Veränderungen führen. Aus Strategie wird eine dynamische Ausrichtung, aus Kontrolle wird eine Kultur, die dem Reichtum und dem Wissen des Lebens vertraut und aus einer vorschreibenden Top-Down-Struktur wird ein selbstorganisiertes Netzwerk mit vielen Entscheidungs-Gravitationspunkten (z.B. im Modell der Soziokratie mit den vier Basisprinizipien Konsent, Offene Wahl, Kreis und Doppelte Verlinkung)

Tiefgehender Wandel in Organisationen - Erneuerung, nicht Optimierung

Ein solcher Wandel in Organisationen führt unserer Meinung nach dazu, dass sich viele Mitarbeitende wieder als Teil der Organisation verstehen, mitgestalten und ihre Arbeit wahrhaftig als Reallabor für eine bessere Zukunft verstehen.

Regeneratives Wirtschaften

Als Konzept eines Zieles, das in jeder Organisation anders aussieht, dient uns das regenerative Wirtschaften. Ihm liegt ein Verständnis von Nachhaltigkeit zugrunde, das darauf abzielt, positive Lösungen zu schaffen anstatt negative Konsequenzen zu vermeiden.

Darin liegt der kreative Anspruch eines Handabdrucks zugrunde: Wir werden aktiv, um organisatorische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen so zu verändern, dass nachhaltiges Leben für viele möglich wird. Diese Absicht (auch wiederum eine Grundannahme) erzeugt eine grössere Wirkung und Ansporn für das eigene Engagement in Reallaboren, als allein über die Reduktion des eigenen Fussabdrucks möglich wäre.

Für unsere Arbeit mit den von uns begleiteten Organisationen setzen wir unter anderem auf den Stellar Approach. Das Ambitionslevel z.B. bringt Klarheit über Entscheidungen über Grundannahmen, die das Engagement der Mitarbeitenden einer Organisation in Reallaboren erhöhen.

Die Richtung ist klar: es geht um einen Paradigmenwechsel, der die Art und Weise, wie Organisationen heute funktionieren auf den Kopf stellt. Und wir glauben, dass dies nötig ist, um diese Reallabore für eine bessere Welt entstehen zu lassen. Wir benötigen ganz neue Praktiken für Zusammenarbeit, Gemeinschaft, Kreislaufwirtschaft, Widerstandsfähigkeit und regenerative Denkweisen, wenn wir uns Organisationen als lebendigen Organismus und Teil eines grossen Gesellschafts- und Welt-Systems vorstellen.

Die meisten der neuen organisatorischen Praktiken werden für konventionellere Organisationen zutiefst kontrakulturell sein. Es ist möglich, dass Menschen Entscheidungen in Frage stellen und neue Annahmen als töricht bezeichnen. Dialoge sind fruchtbarer, wenn sie nicht auf der Ebene des Argumentierens für oder gegen eine bestimmte Managementpraxis bleiben, sondern wenn sie auf einer tieferen Ebene stattfinden und die oft versteckten Annahmen hinter der Praxis diskutieren.

Damit kommen wir zum konkreten Tun bei der Einführung von Reallaboren für eine regenerative Wirtschaft wie im Fall des Stellar Approaches. Wir anerkennen als ersten Schritt die Komplexität unserer bevorstehenden Aufgabe der Schaffung von Reallaboren für eine bessere Welt mit engagierten Mitarbeitenden.

Als zweites nehmen wir die kreative Energie dieser Mitarbeitenden in ihren Teams, in dem wir nach Spannungen aus der Abweichung eines beobachteten Zustands und des Wunschzustands fragen. Wenn das Team selber einen Beitrag leisten kann, dass trifft es auch selbst eine Entscheidung darüber, welche Lösung sicher und gut genug ist, dass sie es ausprobieren können.

Eine kleine Praktik nach der anderen, Schritt für Schritt verändern so die Teams ihren eigene Umgebung, gestalten sie regenerativ und transformieren auf diese Art die Organisation. Eigentümer:innen und Top-Management sind als eigene Teams mit im Spiel, die verschiedenen Aktivitäten greifen durch die gemeinsame Ausrichtung auf regeneratives Wirtschaften ineinander über.

Falls du bis hierhin gelesen hast und noch immer nicht genug hast davon, wie wir bei Future Ready Organisationen begreifen und wie wir in Organisationen Reallabore für eine bessere Zukunft öffnen möchten, dann freuen wir uns jetzt schon auf den Austausch mit dir:

info@futureready.ch